Philharmonischer Chor Kiel

Volkszeitung, 05.02.1964

Das wiedergewonnene Paradies

Haydns „Schöpfung“ im 6. Sinfoniekonzert des Kieler VdM

„Keiner kann alles, schäkern und erschüttern, Lachen erre­gen und tiefe Rührung, und alles gleich gut, als Josef Haydn.“

Wolfgang Amadeus Mozart

Mozart hat „Die Schöpfung“ nicht mehr kennengelernt; er starb sieben Jahre vor ihrer Uraufführung. Dennoch klingt, was er in einem seiner Briefe über den verehrten Freund schreibt, als sei es auf dieses Oratorium gemünzt; es fehlt nur noch der Zussatz: ...und alles in einem Werk. Denn errregt es nicht Lachen (oder zumindest Lächeln) zu hören, mit welch humorvoller Akribie die Tiere in Raphaels Menagerie-Arie „abgebildet“ sind — nicht tiefe Rührung zu verneh­men, mit welch demütiger Würde das lobpreisende Duett des ersten Menschenpaars durchtränkt ist? Heißt es nicht schäkern, wenn die Tauben trillernd in Terzen turteln? Und — um einmal nicht von der strahlenden Kraft der großen Chöre zu reden — wer wäre nicht erschüttert von dem gewaltigen Akkord, der das Licht über die Erde gießt? Das verlorene Paradies (und ich meine jetzt nicht Miltons Gedicht, auf dem der Text des Oratoriums basiert) — Haydn hat es in seiner Musik wiedergewonnen mit kindlicher Frömmigkeit und großer Kunst.

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Die Aufführung unter Peter Ronnefeld war kraftvoll, inspiriert, wun­derbar musikantisch, band die Vielfalt der „Stimmungen“ organisch unter einen Spannungsbogen, steigerte sich (nach anfänglichen Unsicherheiten) zu herrlichen Höhepunkten. Ronnefeld nahm sich Zeit, den naiven instrumentalen Realismus Haydns, die Erzählungen von den Schönheiten und Eigenarten der Natur (darin sich seit den Vor­stellungen der Aufklärung das Wohlwollen Gottes spiegelt) in jedem Detail auszumalen, liebevoll heiter, doch ohne Ironie — und er jagte die Tempi ekstatisch hoch in den chorischen Lobgesängen, wohl wissend, daß Cherubim und Seraphim keine technischen Schwierig­keiten kennen. Nun kann man zwar kaum unterstellen, die Damen und Herren des Städtischen Chors seien eitel Cherubim und Seraphim — doch da ihnen Ronnefeld dergleichen suggerierte (was Musikalität betrifft, versteht sich), nachdem Christian Süß mit der Einstudierung erstklassige Vorarbeit geleistet hatte, war das Ergebnis staunens- und bewundernswert. Der Chor sang rhythmisch präzis, im Ton sau­ber und kultiviert (nur die Tenöre sollten nicht versuchen, was ihnen an Stimmenzahl fehlt, durch Lautstärke zu ersetzen) — und mit einer Prägnanz der Artikulation, die er erst in neuerer Zeit erarbeitet hat.

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Jede Aufführung der „Schöpfung“ aber steht und fällt mit der Quali­fikation der Solisten, die hier (zumindest quantitativ) mehr zu sagen haben als in anderen Oratorien. Daß diesmal eine besonders glück­liche Wahl getroffen wurde, bestimmte den künstlerischen Rang der Aufführung entscheidend mit. Leonore Kirschstein, deren perfekt kultivierten Sopran man auf der Kieler Opernbühne schmerzlich ver­mißt, sang die Gabriel-Eva-Partie mit makelloser, ausgeglichener Stimmführung; sogar ein Hauch von Wärme blühte zuweilen in ihrem kühlen Timbre auf. Günter Morbach von der Frankfurter Oper (in Kiel nicht vergessen, seit er 1962 die Baß-Partie im Verdi-Requiem sang) schien zu Beginn nicht ganz disponiert, gewann aber rasch an Sicher­heit und Volumen und präsentierte schließlich eine höchst eindringlich und geistvoll gestaltete, sublim durchdifferenzierte Raphael-Adam- Partie. Helmut Kretschmar schließlich brachte für den Uriel einen sanft kehligen, in der Mittellage schwachen, in der Höhenlage aber schön leuchtenden Tenor mit. Brillante — hier eminent wichtige — Stimmbe­weglichkeit zeichnete das Solisten-Terzett aus. — Auch das Orchester mobilisierte all seine Fähigkeiten, deren Superlativ nach wie vor die Holzbläser bilden, wenngleich die Streicher (vor allem die zweiten Geigen, die es auch am nötigsten hatten) jetzt heftig aufholen.

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Ein erregend schönes, trotz aller Länge belebendes Konzert, dem denn auch enthusiastischer Beifall Reverenz erwies. S. M.

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Siehe auch Dr. S.

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