Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 05.03.1975

Im konzertanten Stil

Anton Dvoraks „Stabat mater“ im Kieler Schloß aufgeführt

Von Rolf Gaska

Es ist erst drei Wochen her, daß der „Elias“ im Kieler Schloß auf­geführt wurde. Wer diese gleichsam nazarenische Musik noch im Ohr hatte, konnte wohl nicht umhin, Vergleiche zu ziehen, als nun am selben Ort im 6. Sinfoniekonzert der Stadt Kiel und des VdM Anton Dvoraks große Kantate „Stabat mater“ erklang. Zwischen den Chor­werken Mendelssohns und Dvoraks liegen 37 Jahre — und eine Welt.

Was in der Praxis, in dem unmittelbaren Erfahrungsbereich des Konzertsaals, besonders kenntlich wurde, war das sublimere Raffinement der Dvorak-Partitur, ihr konzertanter Gestus, den Klaus Tennstedt am Pult hervorragend nachzuvollziehen wußte. Wohl gibt es auch noch bei Dvorak jene kompositorische Tradition, die einzelne Nummern — auf die Basis eines durchgängigen figuralen Motivs stellt. Aber die rhythmischen Gestalten, die dynamischen Akzente, die har­monischen Schritte und schließlich die Instrumentation verdecken die traditionellen Züge zugunsten eines individuellen und nationalen Kolorits.

Chorwerke im Rahmen der Sinfoniekonzerte aufzuführen, bringt den unschätzbaren Vorteil, ein gut vorbereitetes, hochqualifiziertes Orchester in die Wiedergabe zu integrieren. Tennstedt vermochte mit seinen Kieler Philhrmonikern dem Orchesterpart eine sehr bewegte, sehr lebendige und farbenreiche Gestalt zu geben. Wärme, Glanz und Kraft der Aufführung, Lyrisches und Ekstatisches fanden hier den starken ausstrahlenden Kern.

Bei der solistischen Besetzung waltete wieder einmal das Glück-im-Unglück-Prinzip, das merkwürdigerweise bisher die ganze Konzert­saison 1974/75 heimsuchte. Sopran und Baß hatten wegen Erkran­kung abgesagt. Man fand aber beste Nothelfer in Angela Heckay (London), die mit großer, ausdrucksvoller Stimme aufwartete, und in Anton Diakov (Basel), dessen seriös-prägnante Darstellung der Baß­partie sich nahtlos in das Geschehen einfügte. Die mit Volumen und Kraft glänzende Altstimme Hildegard Laurichs und der metallisch-helle Tenor Anton de Ridders komplettierten ein Quartett, das den konzer­tanten Stil des Abends mitprägte.

Weniger als vor drei Wochen bei Mendelssohn rückte die große Singgemeinschaft in den Vordergrund, die hier durch den Städtischen Chor Kiel und den Chor der Bühnen der Landeshauptstadt (Einstudie­rung Peter Heinrich) gebildet wurde. Das lag in der Natur der Sache, in der mehr verschmelzenden, mehr integrierenden Tonsprache des tschechischen Komponisten. Gleichwohl setzten die vereinigten Chöre kräftige und sicher gemeisterte Akzente — vor allem das schwierige Finale, Sinnbild der Befreiung und Erlösung, Zusammenfassung aller klanglichen Mittel, forderte uneingeschränkte Bewunderung.

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