Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 30.06.1973

Ohne Messianische Kraft

Händels Oratorium „Der Messias“ im Kieler Schloß aufgeführt

Georg Friedrich Händels monumentales Werk „Der Messias“, seit seiner Uraufführung in Dublin 1742 auch sein gleichbleibend belieb­testes, kam innerhalb des Kieler-Woche-Programms zur Aufführung. Unter der Leitung von Dr. Wilhelm Pfannkuch mühten sich der von Peter Heinrich einstudierte Städtische Chor Kiel und das Kieler Kam­merorchester um eine angemessene Wiedergabe dieser von dem gesunden weittragenden Atem hochbarocken Lebensgefühls durch­zogenen Klangarchitektur.

Aber was hier atmete im großen Konzertsaal des Kieler Schlosses — wie schwächlich war's, wie unausgeglichen die Leistungen aller beteiligten Gruppen, des Orchesters, des Chores, der Solisten. Hat man sich in zu kurzer Zeit zuviel vorgenommen? Es ist nicht einzu­sehen, warum auch nicht berufsmäßige Musiker, wie die Sänger des Chores und die Mitglieder des Kammerorchesters — das einen guten Ruf zu verteidigen hat — höheren Anforderungen an Qualität nicht genügen könnten. Sollten die Engländer vor mehr als zweihundert Jahren, sollten ein Herder, ein Goethe oder Claudius so glanzlose, uninspirierte Aufführungen erlebt haben, man verstünde ihre Begei­sterung nicht für dieses auf unmittelbare Wirkung zielende Oratorium, worin Händel seine persönlichste, aber auch zeittypische Glaubens­haltung, seine messianische, auf das Ewige gerichtete Zuversicht ins Medium der Musik überträgt.

Was an diesem Abend geboten wurde — deklamatorisch unpräzi­ser Chor, dynamisch undifferenzierter Orchesterklang, unausgewo­gene Abgestimmtheit zwischen Orchester und Solisten, nicht immer exakte Einsätze — das alles trug dazu bei, den Genuß an diesem großartigen Werk zu schmälern. Bei soviel technischem Mangel waren alle Mitwirkenden, wie nicht anders zu erwarten, überfordert, was das Sicheinfinden in den Geist und Gehalt des Textes betrifft.

Die Solisten gaben nur in einzelnen Arien Beispiele ihres Könnens: die Sopranistin Eleanor Adler sang mit für den Messias insgesamt zu spielerisch-zartem Organ, Gustl Braun mit ihrem sanften, aber hier nicht genügend tragfähigen Alt vermochte nicht zu überzeugen; dem Tenor The Altmeyer gelang es immerhin, den Übergang von Todes­trauer zu österlichem Triumph deutlich werden zu lassen, der volu­minöse Baß von Hans Franzen entzündete sich an der Arie der „rasenden Heiden“.

Das Publikum im nicht ausverkauften Saal dankte und applaudierte andauernd, man war's zufrieden. So leicht läßt ein Händel sich nicht in die Flucht schlagen. E. NEUENDORF

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