Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 25.03.1970

Ein Abend von hohem Niveau

Verdi und Bruckner im 6. Sinfoniekonzert im Kieler Schloß

Eine interessante Verbindung zwischen Kirche, Oper und Konzert­saal als den drei Hauptschauplätzen musikalischer Aufführungen brachte das 6. Sinfoniekonzert im Kieler Schloß, auf desse Programm „Stabat mater”, „Laudi” und „Te Deum” aus den „Quattro pezzi sacri” von Giuseppe Verdi neben der „unvollendeten” neunten Symphonie von Anton Bruckner standen.

Verdi schuf diese geistlichen Stücke in seinen letzten Lebensjah­ren, gut 25 Jahre nach seinem „Requiem” und in zeitlicher Nachbar­schaft zum „Falstaff”. Neben den geistlichen Hymnus „Stabat mater” und den ambrosianischen Lobgesang „Te Deum laudamus” tritt als dritter Text der 33. Canto aus Dantes „Paradies”, in dem der heilige Bernhard dem Dichter durch die Gnade der Gottesmutter den Anblick der Dreifaltigkeit vermittelt. Diese „Laudi alla Vergine Maria” in schlich­tem a-capella-Satz für vierstimmigen Frauenchor, kontrastieren scharf zu den umgebenden, mit großem Orchesterapparat versehenen Stücken, die, wie Eduard Hanslick in seiner Kritik der Wiener Erstauf­führung 1898 vermerkt, „bei aller Wärme und Ehrlichkeit der Empfin­dung doch den Opernkomponisten verraten, der starke Kontraste, wechselnde Farbmischung und süße Melodien nicht entbehren kann”.

Lothar Zagrosek, nach alter Kieler Tradition Chordirektor der Städtischen Bühnen und gleichzeitig Leiter des Städtischen Chores, hatte einen großen, sehr ausgewogen besetzten Klangkörper aufge­boten, der auch die Teilung in die Doppelchörigkeit beim „Te Deum” ohne Substanzverlust verkraftete, und dessen strahlender Gesamt­klang auch im „mauererschütternden Forte” (Hanslick) des gut be­setzten Orchesters noch zu hören war. Sehr sauber und kammermusi­kalisch ausgefeilt, wenn auch dynamisch manchmal unausgewogen war die Interpretation der „Laudi”; mit echt südländischem Pathos, das zu dem geistlichen Gehalt dort keinen Gegensatz bildet, wo der Glaube selbstverständlicher und vordergründiger das ganze Leben beherrscht als nördlich der Alpen, musizierte Hans Zender mit dem gut einstudierten Chor und setzte die Akzente des Al-fresco-Orchestersatzes sehr bewußt und mit viel Gespür für die „italianitá” Verdis, das er schon in seiner „Falstaff”-Interpretation bewiesen hatte.

Mehr als ein Zufall ist die Tatsache, daß Anton Bruckner, dem nach der Vollendung der ersten drei Sätze seiner 9. Sinfonie die Kraft zur Fertigstellung des in Skizzen vorliegenden Finales fehlte, längere Zeit mit dem Gedanken spielte, sein 1884 entstandenes „Te Deum” zum Finalsatz der Symphonie zu machen und sogar schon Skizzen für eine Überleitung anfertigte. Das Verhaftetsein in der symphonischen Tradition und das unübersehbare Vorbild von Beethovens 9. Sinfonie, mit der Bruckners letztes Werk über die Tonart und — in Verbindung mit dem Te Deum — das Chorfinale hinaus vieles gemeinsam hat, bewies sich in der Aufführung durch das verstärkte Städtische Orche­ster im zweiten Teil des Konzertes. Die fundamental-statische Natur des ersten Satzes, die dem dynamischen Prinzip der Sonatenform die Reihung gegenüberstellt, gestaltete Zender in einer den klaren drei­themigen Aufbau verdeutlichenden Weise, wobei ihm das stark besetzte, motivisch überaus wichtige Blech mit schlankem, strahlen­den Ton und klarer Konturierung unterstützte und klangliche Retu­schen gegenüber den anderen Orchestergruppen überflüssig machte.

Dem sich aus dem Tristan-Akkord heraus entwickelnden Totentanz des Scherzos ließ Zender die elementar wirkende dynamische und klangliche Wucht, nur kurz unterbrochen durch den zaghaften Versuch der Oboe, mit einer Ländlervariation des Themas eine freundlichere Stimmung zu erzielen, und bald darauf wieder überrollt vom dämoni­schen Treiben. Das Trio, entgegen den vagierenden Tonalitäten des Scherzos in klaren Fis-Dur, hat zwar im Tempo und der undurchsich­tigen Instrumentierung mit dahinhuschenden Holzbläsereinwürfen Ähnlichkeit mit Mendelssohnscher Elfenmusik, bringt aber keine Befreiung von der Unheimlichkeit des Scherzos, sondern eher noch eine Intensivierung, so daß die harten Schläge des zurückkehrenden Totentanzes erleichternd wirken. In diesem Satz zeichnete sich besonders die Streichergruppe mit scharf gerissenen Tonrepetitionen und exakten Achtelketten aus.

Das abschließende Adagio, dessen große innere Spannung das unbegleitete Thema mit dem eröffnenden Intervall der kleinen None bereits verdeutlicht und das in seiner kontrastreichen Vielfalt wie in der chromatischen, kaum definierbaren Tonalität Schönbergs Reihen­technik antizipiert, bildet auch ohne einen nachfolgenden vierten Satz einen befriedigenden Schluß. Die Lösung der im Thema aufgestauten Spannungen und die durch Zitate aus der d-Moll-Messe, dem Prolog der 7. Sinfonie und dem Adagio der 8. Sinfonie auch äußerlich evident gemachte Finalität nicht nur einer Sinfonie, sondern eines Lebens­werkes wurde in Zenders Interpretation deutlich, die die Erfahrungen aus der intensiven Beschäftigung mit neuer Musik in der nichts ver­deckenden Klarheit verwendete und in dieser Folgerichtigkeit sich wohltuend abhob von der Al-fresco-Manier bekannter Bruckner-Dirigenten.

Es gab viel Beifall für alle Mitwirkenden, die trotz der teilweise schwierigen akustischen Verhältnisse eine Aufführung von hohem Niveau zustande gebracht haben.

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