Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 07.01.1970

Legende schwingt mit

Pergolesis „Stabat Mater“ — Konzert des Städtischen Chors Kiel

Um Giovanni Battista Pergolesis „Stabat Mater“ ranken sich Legen­den. Nicht ganz so viele und mystifizierende wie um Mozarts „Requi­em“. Doch auch dem 26jährigen Neopolitaner soll der Tod buchstäb­lich die Feder aus der Hand genommen haben, mit der er eben noch die letzten Noten schrieb. Aus solchen Geschichten erwächst Rüh­rung, und etwas Ähnliches — Gedanken an Todesahnungen und Schwärmertum zudem — läßt sich leicht in das „Stabat Mater“ hinein­geheimnissen.

Daß es sich trotzdem lohnt, gerade dieses Werk zu bewahren und zu pflegen, zeigte die Aufführung durch den Städtischen Chor Kiel. Die zwölfteilige Sequenz bildete den Abschluß eines Abendkonzerts in der Universitätskirche. Lothar Zagrosek rückte sie bewußt aus der gefähr­lichen Nähe gefühliger Verschwommenheit, tränenseliger Andacht und süßer Trauer, die ja schon durch den (hier meist unverständlich arti­kulierten) liturgischen Text präjudiziert sein könnten. Zagroseks Mittel sind sorgsam gesteuerte Lautstärkendynamik, präzis gearbeitete Übergänge und spannungsreiche Tempomodifikationen. Das Werk erhielt so ein erhebliches dramatisches Gewicht.

Die beiden Solistinnen kamen von den Bühnen der Landeshaupt­stadt: Norma Newtons kräftiger, sicher geführter Sopran gewann im Duett mit Eleonore Reimers' tönendem Bronze-Alt noch an Leuchtkraft und Wärme.

Wenn ein kleiner Rest zu wünschen übrig blieb, so lag es nicht am stimmlich sauberen Frauenchor. Es ist eben heutzutage kaum denk­bar, daß sich das nötige Quentchen naiver Frömmigkeit zwischen kon­zertanter Oberfläche und quellender Emotion finden läßt.

Die erste Hälfte des Konzerts war Mozart gewidmet. Aus der zwei­ten Salzburger Vesper (KV 339) hörte man das „Laudate Dominum“. Zahlenmäßig nicht eben groß, schien der Chor den räumlichen und akustischen Gegebenheiten vortrefflich angepaßt. Er zeigte sich zu­dem stimmlich ausgewogen und — trotz Grippe überall — gut dispo­niert. Jedes Mehr an Stimmen wäre der zarten, fast nachdenklichen Innigkeit der Lobpreisung schlecht bekommen. Norma Newton, die kurzfristig für Maria Cleva als Solistin eingesprungen und vermutlich deshalb zunächst nicht ganz frei von Nervosität war, profitierte von der rhythmisch und meist auch intonatorisch präzisen Chorstütze.

„Venite populi“ (KV 260) und „Misericordias Domini“ (KV 222) hat­ten das Programm eingeleitet; mit dem im Todesjahr 1791 geschrie­benen „Ave verum corpus“ (KV 618) endete der Mozart-Teil: in meinen Ohren der wirkliche Höhepunkt, in dem die asketische Schlichtheit und Transzendenz dieser 46 rätselhaften und vollkommenen Takte spürbar wurde.

Die Instrumentalgruppe aus Mitgliedern des Städtischen Orche­sters trug — in weiser Bescheidung mehr Hintergrund als eigenstän­diger Apparat — zum Gesamteindruck das Ihre bei. T. W.

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