Philharmonischer Chor Kiel

Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 06.07.1977

Frühling, Trunk und Liebe

Orffs „Carmina Burana“ in der Herderschule

„Alles, was ich bisher geschrieben und Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen?! Mit den ‚Carmina Burana‘ beginnen meine gesammelten Werke“, sagte Carl Orff nach der Uraufführung 1937 zu seinem Verleger. In der Tat begann mit den „Carmina Burana“ die Reihe der großen musikdramatischen Werke, in denen Orff, ausge­hend von der Wagnerschen Idee eines Gesamtkunstwerkes, die Ein­heit von Musik, Bewegung und Bild anstrebte. Die „Carmina Burana“ machten ihn weltberühmt; bis heute sind sie eines der volkstümlich­sten Werke der neuen Musik geblieben. Vorlage und Anregung bilde­ten Vagantenlieder aus einer im Kloster Benediktbeuren entdeckten Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, die in urwüchsigen, drasti­schen, aber auch zarten Versen den sinnenfreudigen Lebensgenuß besingen. Orff stellte eine Reihe dieser Lieder unter einer dreiteiligen Form zusammen — Frühling, Trunk und Liebe — und umrahmt die Äußerungen der Lebensfreude mit einer Aufrufung der Fortuna. Im Konzert am Montag in der Herderschule wirkten der Städtische Chor Kiel, Mitglieder des Rendsburger Frauen- und Männerchores und der Kammerchor der Volkshochschule zusammen. Die Leitung hatte Hugo Wulfers: Für die Chöre ist die Einstudierung sicher ein hartes Stück Arbeit gewesen, denn der entscheidende Träger der „Carmina“ ist der Chor. 18 von 25 Nummern gestaltet er allein, bzw. zusammen mit den Solisten. Dabei sind Chortechniken von psalmodierender Einstimmig­keit bis zu vielstimmigen Klangballungen zu bewältigen. Doch was als erstes ins Ohr springt, ist der Rhythmus; selbst der Klang ist bei Orff in vielen Fällen nur eine Möglichkeit zur Verwirklichung mannigfaltig­ster Rhythmen. Der Chor löste seine Aufgabe zur Freude der Zuhörer und konnte in vielen Nummern wie in „O Fortuna“, „Ecce gratum“ und „Veni, veni, venias“ mitreißen. Der Chorklang war hell und immer vom Klang der Sprache ausgehend, nur selten in extremer Höhe in den Sopranen etwas getrübt. Ein besonderes Lob gebührt den Männer­stimmen für „In taberna“, das sicher schon während der Proben ein Schlager war. Kleine Unebenheiten gab es in „Si puer cum puellula“ — ein heikles Stück, da als einziges unbegleitet. Einen wesentlichen Anteil an der Lebendigkeit der Aufführung hatten die beiden Pianisten Bodo Reinke und Dr. Kai Hauschildt und die Instrumentalisten an den Schlaginstrumenten; alle beherrschten ihre Partien bestens und waren mit sichtlichem Vergnügen am Werk. Unter den Vokalsolisten bevorzugt der Komponist die beiden Baritone und gibt ihnen unter­schiedliche Aufgaben bis hin zum Falsettsingen. Frido Meyer-Wolff und Richard Salter konnten sich gut in ihre Rollen einfühlen und sangen mit markanten Bühnenstimmen. Die Sopranistin Ute Raithel — wie ihre Sängerkollegen Mitglied des Opernhauses Kiel — überzeugte mit angenehmer und klarer Stimme und gefiel besonders im „Dulcissime“; in „Amor volat undique“ waren auch die „ragazzi“, acht Knäblein beteiligt. Ulrich Behnke, Tenor, hate sich in die wahrlich nicht leicht zu ergründende Gefühlswelt eines gebratenen Schwans zu versetzen und sang in trauervoller Komik sein „Olim lacus colueram“. Auf den Dirigenten Hugo Wulfers war Verlaß, er hatte die Sache sehr gut in der Hand und schlug überzeugende Tempi an. Die ursprüngliche Ab­sicht des Komponisten, die er auch in der Titelunterschrift ausdrückt, ist eine Bühnenaufführunmg der „Carmina“, ein Zusammenspiel von Klang, Tanz und „magischen Bildern“. Eine Abstraktion auf das rein Musikalische hat er durchaus zugelassen, doch wird es dem Hörer, der mit dem Werk nicht vertraut ist, in solchem Fall sehr schwer, ohne Text dem Ablauf zu folgen. Zwar freut er sich an der berauschenden Musik der einzelnen Lieder, doch weiß er nicht, wo er lachen und wo er weinen soll, er erlebt nicht das Winteraustreiben und den Ruf des Frühlings, kann nicht am Trinkgelage in der Taberna teilnehmen, wo vom Kind bis zum Bischof alle mithalten, kann nicht die Sorgen des Abtes vom Orden der Würfelspieler teilen und weiß nicht einmal, welcher Vogel denn da in der Pfanne brät . . . (daß die Jungen und die Jungfrauen wie eh und je einander zufliegen, kann man ohnehin nicht verhindern). Ein Textblatt wäre eine Hilfe gewesen. Das Konzert war gut besucht. Nach viel Beifall und Blumen gab es eine erneute Anrufung der Fortuna. Horst Müller-Olm

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