Philharmonischer Chor Kiel

Lübecker Nachrichten, 21.05.1977

Festliche Chormusiktage 1977

Reiches Programm schon zum Auftakt — Lübeck begrüßt mehr als 1500 Sänger

In einer Zeit, in der sich mit der Umwertung aller Werte eine all­mähliche Lösung von der Tradition vollzieht, ist die Situation für unse­re Chorvereinigungen nicht einfach. Sie sind in der Mehrzahl einer bürgerlichen Kultur mit ihrer klassisch-romantischen Literatur verbun­den, und nicht alle Chöre sind so gut besetzt, um sich an zeitgenös­sisches Schaffen zu wagen. Daß auf dem Programm der Festlichen Chormusiktage in Lübeck 1977 Veranstaltungen mit 22 gemischten Chören und mehr als 1500 Sängern angekündigt sind, stimmt hoff­nungsvoll. Ist es doch ein Zeichen dafür, daß man noch immer gemein­sam musiziert.

Das leider schwach besuchte Eröffnungskonzert in der Stadthalle bestritten drei Chorvereinigungen mit reichem Programm. Unter dem jungen Kirchenmusiker Hartmut Bethke nahm sich der Itzehoer Kon­zertchor der D-Dur-Messe von Dvorák an, deren Melodiefreudigkeit an böhmische Volksmusik erinnert und es verstehen läßt, daß sich ein strebsamer Chor zu dieser Klangwelt hingezogen fühlt.

Allerdings stellt ein so großes Werk seine Anforderungen. So dürfte der Dirigent seinen Sängern, die sich in den großen Forte-Blöcken intensiv einsetzten, in den Piano-Partien noch eine sichere Intonation abverlangen. Dies zeigte sich besonders zu Beginn des nur von der Orgel begleiteten „Benedictus“. Auch in der Führung von Chor und Orchester wird Bethke weitere Erfahrungen sammeln, um den Ablauf in einem so großen Saal noch überzeugender in den Griff zu bekom­men. Ariose Partien steuerte ein Quartett hoffnungsvoller Nachwuchs-Solisten bei (Ruth Amsler, Sopran, Maja Moebius, Alt, Peter Bartele, Tenor, Bernd Fender, Baß), deren Stimmen sich auch im Solo erfreulich im weiten Raum bewährten. Dvoráks Musikantentum zündete auch in diesem sakralen Bereich und sicherte Werk und Wiedergabe eine freundliche Aufnahme.

Wie stark eine Musiziergemeinschaft von einem routinierten Diri­genten inspiriert werden kann, bewies der Städtische Chor aus Kiel unter Klaus E. Schneider. Unter diesem gewandten Musiker, der das Geschehen in Chor und Orchester in jedem Augenblick beherrschte, erweckte man zwei Werke von Haydn und Beethoven zu neuem Leben, die wegen ihres im Verhältnis zu ihrer Kürze großen Aufwands selten zu hören sind.

Haydns Kantate „Der Sturm“, die in manchen Partien an die Gewit­ter-Szene in den „Jahreszeiten“ erinnert, verdiente die Wiederbele­bung ebenso wie Beethovens „Meeresstille und glückliche Fahrt“. Beide Werke waren dankbare Objekte für diesen geschulten Chor, dessen beachtliche Leistung allgemeine Anerkennung fand.

Für das Musikfest 1965 in Chichester, Sussex-England, komponier­te Leonard Bernstein seine „Chichester Psalms“, ein Werk mit tänze­rischem Elan, fantasievollen Streicherpartien, einem Pastorale für Knabenalt und dem feierlichen Ausklang eines A-capella-Chorsatzes. Die Vertonung von Psalmen wie „Jauchzet dem Herrn“, „Der Herr ist mein Hirte“, „Warum toben die Heiden“ und „Siehe, wie fein und lieblich ist’s“, die auf Häbräisch gesungen werden, verbinden sich zu einer rhythmisch beschwingten, klangfreudigen und wirkungsvoll akzentuierten Musik, die den namhaften Dirigenten und Schöpfer der „West-Side-Story“ auch hier als einen raffinierten Könner erweist.

Mit dem imponierenden Symphonischen Chor Hamburg brachte Wilhelm Brückner-Rüggeberg das eindrucksvolle Werk als souveräner Dirigent zu sicherem Erfolg. Allen drei Werken diente das zuverlässige Orchester der Hamburger Sinfoniker als ein bewährter Partner, dem dafür ein nicht geringer Teil der Zustimmung galt.

Dr. Gerhard Hanschke

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Siehe auch Kieler Nachrichten

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