Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 15.04.1985

Volkstümlich und mystisch zugleich

Karol Szymanowskis „Stabat mater“ im 7. Kieler Symphoniekonzert

KN: ROLF GASKA   Kiel

Dank Klaus Weises Engagement für den Polen Karol Szymanowski kam schon mancher gute Klang nach Kiel, der sonst ferngeblieben wäre. Im 7. Kieler Symphoniekonzert setzt sich ein Gast für seinen Landsmann ein: Jacek Kasprzyk, ein junger Pole mit Arbeitskontakt zu namhaften europäischen Orchestern, dirigiert Szymanowskis Version des aus dem 13. Jahrhundert stammenden Marienhymnus Stabat mater, der vielfach vertont wurde — so von Palestrina und Pergolesi, von Rossini, Verdi und Dvořak, auch von Poulenc und Penderecki.

Szymanowskis Fassung erweist sich als außerordentlich fesselnd, ja unerhört modern. Dreiklänge von fremdartiger Schönheit sichen dem Stück eine gewisse Volkstümlichkeit, schlagen aber zugleich eine Brücke von der christlich-slawischen Orthodoxie zu jener klangsymbo­lischen Mystik, mit der ein Komponist wie Arvo Pärt heute die Men­schen anzurühren versteht, und zwar ohne Falsch. Die Kieler Auffüh­rung hat vielleicht nicht die ganze Kraft, die notwendig wäre, das Stabat mater in die unirdisch schwebende Stimmung zu tragen, die von Szymanowski am reinsten im letzten Satz verwirklicht ist. Aber sie gibt doch einen lebhaften Begriff von der eigenartigen Sprache des Werks.

Sehr rein, fast schlicht, aber dafür um so intensiver in der Wirkung klingt der vom Städtischen Chor Kiel gesungene Chorpart, den Martin Pickard einstudiert hat. Etwas von der Atmosphäre ostkirchlicher Klöster weht herein, ein archaischer Geist. Die Solisten fügen sich entweder ein, oder aber ihre Stimmen erheben sich ekstatisch über die Menge: Hedi Klebls ausdrucksvoll geführter Sopran, Erika Deme­ters kraftvoller Alt, Joachim Seipps metallisch glänzender Bariton. Sängerschaft und Orchester sind keineswegs überdimensioniert. Die Farbe, auch die ungewohnte, ergibt sich nicht aus der Menge der Mitwirkenden, sondern aus dem vokalen und instrumentalen Timbre. Kasprzyk, ein schmaler Mann, sparsam in den Gesten, wenig geneigt zur Pantomime, führt das Ensemble mit geschärftem Sinn für den Szymanowski-Klang, wobei das Orchester mit seltenem Kolorit auf­wartet — man denke an die Kombination von Klarinette und Harfe am Ende des ersten Satzes, an die Rolle der großen Trommel oder an die aus den Bässen herauswachsende gewaltige Steigerung des fünften Abschnitts.

Mit Wiener Klassik wird das Symphoniekonzert, das heute abend noch einmal im Schloß zu hören ist, eingeleitet. Die Kieler Philharmoni­ker spielen in kleiner Besetzung Joseph Haydns späte B-Dur-Sinfonie Nr. 102, ein Werk, das Kasprzyk in charakteristischen Tempi und Figuren herausmodelliert, am Sonntagmorgen allerdings nicht immer exakt genug im Zusammenspiel. Besonderes Interesse verdient das Adagio, bei dem das Solo-Cello (Gerda Angermann) versonnen und sanglich hervortritt. Eine kleine Kostbarkeit ist das Trio des Menuetts mit der dominierenden Oboe (Michael Rosenberg). Die Violinen brillieren vor allem im tänzerischen Presto-Finale.

In der Mitte des Programms steht Richard Strauss mit seinem 1. Hornkonzert Es-Dur op. 11. Er schrieb es neunzehnjährig für seinen Vater, dem es aber zu schwer war. Verwunderlich, wenn man einen Hornisten wie den Hamburger Hermann Baumann damit hört; denn der spielt das romantische Stück, das den Hörer in die musikalischen Wald- und Wiesenidyllen des 19. Jahrhunderts entführt, als gelte es eine der leichtesten Übungen vorzuführen. Baumann läßt sein Horn mit sanftem Atem anmutige Landschaftsbilder malen, so daß man darüber fast die Orchesterbegleitung vergißt. Das ist nun wiederum gar kein Wunder; denn dem jungen Strauss fehlte damals noch die kompositorische Virtuosität, die ihn später berühmt machte. Sein Handwerk klappert noch. Er benutzt die Floskleln, die am Wege liegen. Gleichwohl machen Kasprzyk, Baumann und das Orchester aus dem Hornkonzert eine unterhaltsame Freundlichkeit, die bei der Matinee so beifällig aufgenommen wurde wie die anderen Angebote des unkonventionellen Programms.

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