Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 19.11.1984

Vorahnung der „Zauberflöte“

Mozart-Konzert in der Kieler Petrus-Kirche mit der Musik zu „Thamos“

KN: E. NEUENDORF   Kiel

Nicht nur viele Zuhörer, auch eine stattliche Zahl von Musikern, näm­lich neben den Solisten das Philharmonische Orchester und der allein fast 100 Mitglieder aufweisende Städtische Chor Kiel, hatten sich zum 2. Mozart-Konzert des Kieler Vereins der Musikfreunde in der Wiker Petrus-Kirche zusammengefunden, und dies trotz beschwerlicher Fuß- und Anfahrtswege. Ein kleines Ereignis stand bevor und war offen­sichtlich mit Enthusiasmus vorbereitet: Dem Chordirektor und Dirigen­ten Martin Pickard und dem Ensemble gelang es, dem Publikum eine gültige und in sich geschlossene Vorstellung von Mozarts sonst kaum einmal irgendwo aufgeführter Musik zu dem heroischen Drama „Thamos, König in Ägypten“ zu geben.

Das Stück des Freiherrn von Gebler, eines freimaurerisch aufge­klärten, mit Lessing befreundeten sächsischen Hofkanzlisten in Wien, verschwand bald nach seiner Aufführung 1773 in Preßburg, später in Wien und Salzburg, wieder in der Versenkung. Mozarts Chöre und Zwischenaktmusiken wohl aus dem Jahre 1779 hielten sich im Zusam­menhang mit einem anderen Schauspiel noch mindestens bis 1790, als in Frankfurt wieder einmal eine Kaiserkrönung anstand. „Sich Mozarts ‚Thamos‘-Musik wieder zu erinnern“, schreibt Wilhelm Pfann­kuch mit Kennerschaft im Programmblatt, „bedeutet Hinwendung zu Kostbarem. Die Chöre gehören zu den eindrucksvollsten seines gesamten Vokalschaffens. Von ihnen spinnt sich ein großer geistiger Bogen zur ‚Zauberflöte‘.“

Dieser Eindruck hat sich gewiß auch jedem Konzertbesucher mitgeteilt. Das Arrangement von Musik und der von Viktor Lederer plastisch rezitierten Zwischentexten, in denen der Kieler Dramaturg Wolfgang Binal den Handlungsverlauf des ursprünglichen Stücks nachzeichnete, tat ein übriges, um Mozarts Kompositionen auch im Sinne einer illustrativen Musik zu verstehen.

Kurz gesagt, geht es hier unter den Augen des höchsten Sonnen­priesters in Heliopolis um eine Palastrevolution, um Identitätsver­schleierungen und falsche Freundschaften, Irrungen und Wirrungen, Betrug und Gotteslästerung, die letztlich in einer Gewitterszene mit dem Tod geahndet wird. Die Dualität des Guten und Bösen, des Lichten und des Dunkeln ließ sich bei Mozart vortrefflich nachvollzie­hen: angefangen von dem ersten, hymnisch die Sonne begrüßenden Chor mit seiner vollen, belebenden, auch noch den einzelnen wech­selnden Stimmgruppen zukommende Kraft über die genial entworfe­nen, düster-drohenden, dann in sanftem, hellem Oboenmelos gleiten­den oder ausdrucksvoll pantomimischen Instrumentalstücke bis hin zum zweiten jubelfreudigen Dankgesang in höchsten, hier ganz klar getroffenen Tönen.

Viktor Lederer selbst, der die Geschichte aus der Perspektive des Sarastro nicht unähnlichen Oberpriesters darstellte, steigerte sich zu guter Letzt noch in ein mahnendes Vokalsolo, bevor Mozart mit seinem dritten und letzten Chor einen effektvollen Schluß wider die Überheblichkeit des Menschen setzte.

Zur revidierten „Thamos“-Musik steht die Sinfonia concertante KV 364 Es-Dur, das orchesterbegleitete Konzert für Violine und Viola, in zeitlicher Nachbarschaft. Es wurde zu Beginn des Abends von den beiden bekannten Stimmführern der Kieler Philharmoniker, Gábor Csapó und Johann Santa, interpretiert: vorzüglich sowohl in der Ablösung wie im Gleichklang der Stimmen und mit einem gehörigen Anteil musikantischer Leidenschaft.

Zuletzt geändert am