Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 18.01.1988

Liturgische Werke mit Neigung zu Witz und Opernpathos

4. Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Kiel bot Kompositionen von Bizet, Poulenc und Honegger

Französische Musik zwischen liturgischem Hintergrund und weltli­chem Aufführungsort („zwischen Kirche und Konzertsaal“ wäre ein­prägsam, aber ungenau formuliert) ist im 4. Sinfoniekonzert zu hören, das das Philharmonische Orchester Kiel und der Städtische Chor (Ein­studierung: Imre Sallay) unter Klauspeter Seibels Leitung am Sonntag vormittag gemeinsam bestritten und das heute abend im Kieler Schloß wiederholt wird. Die zwei Vokalwerke des sinnvoll zusammengestell­ten Programms, denen das Religiöse auch schon mal in opernhaftes Pathos oder divertimentohaften Witz umschlägt, kamen dabei mehr zu ihrem Recht als die sinfonische Maß- und Wertarbeit, die das Mittel­stück, Arthur Honeggers 3. Sinfonie (Liturgique), erfordert.

In Georges Bizets Te Deum, das unverkennbar mit der Oper liebäu­gelt, hielten Chor und Orchester mit entsprechendem Schwung nicht hinterm Berg: Der junge Posaunist verdiente sich ein Extralob — und bei dem schlagkräftig-übersichtlichen Mechanismus des Werkes konn­te eigentlich auch nicht viel schiefgehen, was Seibel und die hier sehr aufmerksamen Streicher zu einigen hübsch ausgeformten Übergän­gen nutzten. Der Chor war mit klanglicher Geschlossenheit und recht textverständlich am Werk; nur die unvermeidliche Fuge geriet zäh, wohl auch nicht immer restlos präzise. Sie hätte vorm Umschlagen — was soviel heißt wie Zurückschwenken — ins Opernmelos besser mehr Esprit als deutsche Ernsthaftigkeit vertragen.

Kari Lövaas (Sopran) als renommierte Gastsolistin sparte in die­sem Werk ebenfalls nicht mit Emphase und wohlgeformt-durchset­zungsfähiger Tongebung — anders als später in Francis Poulencs Gloria, wo ihre Stimme oft eher ein leuchtender Reflex auf dem Chor- und Orchestergeschehen war als solistische Selbstdarstellung. Solche Interpretationsunterschiede hatten also Methode, außerdem war das Orchester bei Poulenc aber manchmal doch zu laut. Bei Bizet bewähr­te sich auch Wolf-Hildebrand Moser mit gewohnter rhythmischer Zu­verlässigkeit, ließ sich von seiner Partie und von der prominenten Partnerin zu einiger Stimmentfaltung verlocken und hinterließ den Eindruck stabilen, aber auch recht statischen Singens.

Ähnliche Aufführungsqualität hatte Poulencs Gloria; bei allem Schwung vermißte man im Chor und Orchester aber einige Eleganz und Leichtigkeit für die oft witz- und geistreiche Frömmigkeit. Dem Orchester forderte Seibel mit zupackenden Gesten und unbeirrbarer Übersicht das Mögliche an Präzision ab, etwa in den purzelnden Ka­priolen des Domine fili unigenite, hielt die Streicher auch zu erheblich mehr Durchsetzungskraft an als zuvor in Honeggers 3. Sinfonie. Dort kamen zwar die scharfen Kontraste zwischen und in den Sätzen zur Wirkung, doch die Wiedergabe der heiklen Partitur blieb einseitig: Honeggers Prinzip der Überlagerung unterschiedlicher rhythmischer Schichten kam zu kurz, weil die Blechbläser oft zu sehr dominierten und es in den Geigen an Schlagkraft, bei den Streichern insgesamt an unerbittlicher Genauigkeit fehlte.

Gleich zu Beginn überdeckten die Begleitfanfaren alles andere (und teilweise Wichtigere), erster und letzter Satz waren mehr, als dem Werk guttat, auf Blechbläserhymnen mit undeutlich grummelndem Rest reduziert. Im letzten Satz hielten die Ohren fast umsonst Aus­schau nach den abstürzenden Bläserfiguren, die hier noch gehetzter als im ersten Satz hätten erscheinen müssen — wenn man sie gehört hätte. So ging doch manches von der Vielschichtigkeit des Werkes verloren, das ja ohne Zweifel auch Eingängiges, Packendes und Anrührendes bereit hält, aber nicht nur aus einförmigem Wüten und mild-süßem Hoffen besteht. MICHAEL STRUCK

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