Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 25.04.1994

Überwältigendes Mahler-Erlebnis

Die Kieler Philharmoniker im Schloß

Gustav Mahlers Auferstehungssinfonie… Mit welchem Werk hätte das Kieler Philharmonische Orchester wohl besser dem Glauben an die unverzichtbaren, lebensfähigen Kräfte der Kieler Kulturlandschaft Ausdruck verleihen können? Unter der Gesamtleitung von Klauspeter Seibel und gemeinsam mit dem von Frank Meiswinkel einstudierten Städtischen Chor und den beiden Gesangssolistinnen Gerda Kosbahn und Eva-Christine Reimer wurde das 7. Philharmonische Konzert ge­stern im Schloß ein grandioses Bekenntnis zu Mahlers zweiter Sinfonie.

Bekenntnishaft im besten Sinne wurde die Aufführung vor allem deswegen, weil die Beteiligten all ihre Energien konzentriert auf die Musik ausrichteten. Man muß es erlebt haben, mit welch dreinfahren­der Wucht das Orchester den ersten Satz begann! Seibels Interpre­tation scheute das Grobkantige nicht, sondern begriff es als Aus­drucksmittel. Denn neben den schartigen Klangfeldern des Blechs, die so und nicht anders zur Würze des Orchesterklangs wurden, gab es ja immer wieder jene süßen Kantilenen, die fast zu schön wirkten, um wahr zu sein. Aber erst in der Gefährdung wurde das Schöne zu einer existenziellen Erfahrung.

Das tumultuöse Ganze, diese Welt, die Mahler mit allen Mitteln aufzubauen bestrebt ist, arbeitete Seibel in all ihren Aufschwüngen und harschen Einbrüchen, in allen Paradiesen und Katastrophen eindrucksvoll hervor. Seine Musiker hatten stets das Ganze im Blick, dem sie durch Prägnanz der Artikulation und Vielfalt der Klangbehand­lung dienten. Die Idylle des Andante malte fast eine Welt im Sonnen­schein — wenn die Musik nur nicht immer wieder an den formalen Nahtstellen innegehalten hätte, als traue sie ihrer eigenen Unge­trübtheit nicht… Und hinter den bohrenden, fragenden Kreisen des dritten Satzes stand unleugbar das Wunderhorn-Lied Des Antonius von Padua Fischpredigt — aber im Kontext der Sinfonie läuft diese Melodie doch auf etwas ganz Eigenes hinaus. Seibel balancierte hier auf Messers Schneide, indem er versuchte, beides hörbar zu machen: das beunruhigende Insistieren auf der reinen Musik und das Humo­ristische der Lied-Reminiszenz.

Den vierten Satz nahm er dann gemeinsam mit Gerda Kosbahn sehr ernst, fast ein wenig gehemmt, um dann im Finale mit äußerster Konzentration die Summe zu ziehen. Unabweislich, aufwühlend, voll innerer Anspannung zogen noch einmal die thematischen Gestalten der vorausgegangenen Sätze vorüber. Nahtlos fügte sich das Fern­orchester in den Gesamtklang ein, bis dann der Chor mit Mahlers Version von Klopstocks Auferstehungsode einsetzte. Warm und ein­drucksvoll entfaltete sich dieser Gesang, von Gerda Kosbahn und Eva-Christine Reimer gekrönt, um erst in tiefe Stille und dann in minutenlangen Applaus zu münden. Der Eindruck, den diese — durch eine Spende der Firma Schaulandt ermöglichte — Aufführung hinter­ließ, war überwältigend und wird sich bei der zweiten Aufführung heute abend gewiß wiederholen. KADJA GRÖNKE

Zuletzt geändert am