Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 10.04.1995

Glänzender Einsatz

Sinfoniekonzert mit Klauspeter Seibel im Schloß

Das muß man Klauspeter Seibel lassen: Seine Einsatzbereitschaft beim 7. Kieler Philharmonischen Konzert ist außerordentlich. Eigentlich nämlich sollte der Platz des GMD für diesmal nicht am Dirigentenpult, sondern im Publikum sein. Aber als der Gastdirigent George Alexander Albrecht plötzlich absagte und dann auch der auf die schnelle besorg­te Ersatz noch erkrankte, da sprang Klauspeter Seibel ganz kurzfristig ein — und das ohne große Programmveränderungen.

Einzige Abweichung: Statt mit Schumanns Ouvertüre, Scherzo und Finale op. 52 wird das Konzert nun mit Mozarts Zaubrflöten-Ouvertüre eröffnet. Die hat GMD Seibel natürlich in Kopf und Händen, und das Philharmonische Orchester ebenso — schließlich läuft die Oper derzeit im Opernhaus. Und so hörten wir am Sonntagvormittag (Konzert­wiederholung heute abend) nach einer ganz kurzen Einschwingphase diese Ouvertüre mit großem dramatischem Potential, mit souverän verteilten Verhältnissen von Gewicht und Leichtigkeit.

Auch Beethovens 5. Sinfonie c-Moll op. 67 dürfte als eines der gän­gigsten Werke der Konzertliteratur in der technischen Einstudierung kaum Probleme bereitet haben. Und wie es scheint, ist für ein gestal­terisches Konzept noch genügend Zeit gewesen. Klauspeter Seibels Interpretation lebt von der vitalen Beweglichkeit, von der Schärfe der Konturen, und vor allem: von einer konsequenten Dramaturgie der Gegensätze. — So hört man die Fünfte gerne mal wieder.

Besonders gespannt durfte man allerdings auf Han Pfitzners Chor­phantasie mit Orchester, Orgel, Sopran- und Baritonsolo Das dunkle Reich sein. Pfitzner ist ja einer jener Komponisten, die beim verdienst­vollen Jahrhundertwende-Schwerpunkt im Kieler Opernhaus nicht gespielt wurden; und da die Konzertprogramme gerne inhaltliche Bezüge zum Opernbetrieb aufnehmen, kann man die Chorphantasie getrost als so etwas wie eine Ersatzleistung annehmen. Das dunkle Reich ist in Brahms-Nachfolge eine Art Requiem mit frei gewählten, in diesem Fall weltlichen Texten. Und mit einer Musik, deren opulente Klangfülle und komplexe Satztechnik — entstanden 1929 — erneut eine pathetische Interpretation mindestens begünstigt.

Aber Klauspeter Seibel geht, wie schon bei Beethoven, erfolgreich gegen nebulöse Undurchdringlichkeit und massige Korpulenz zu Werke. Pfitzners Dunkles Reich wird im Kieler Schloß mit überwiegend zügigen Tempi durchschritten. Dabei erhält das Stück ein dynamisch bewegtes Profil, eine klar entfaltete musikalische Gestik, eine hochin­tensive Ausdruckskraft. Frank Meiswinkel hat den Städtischen Chor zu einer schön flexiblen Gestaltung vorbereitet. Da wird eine fein akzen­tuierte Leistung geboten (bei allerdings nur mäßiger Textverständ­lichkeit).

Die Sopranistin Beate Bilandzija singt ihr Solo mit dramatischer Intensität und klarer Linienführung, Hans Georg Ahrens das seine (so weit man es neben dem hier zu lauten Orchester hören kann) mit Wohlklang und der gewohnten stimmlichen Fülle. Graham Cox spielt die Orgel mit dem richtigen Sinn für die Wirkung des Einfachen. Und so kommt von Pfitzners spätromantisch-suggestiver Klangwelt — wie man heute so sagt — „viel rüber“. THOMAS KAHLCKE

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