Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 11.03.1921

6. Symphonie-Konzert

des Vereins der Musikfreunde.

Liszt-Abend.

Liszt: es ist bei ihm alles groß und kühn, wetterleuchtend, vulkanisch und himmelstürmend —

Man kann nicht zu Liszt kommen mit musikalischem Zirkel und Metermaß. Er spendete seine Werke wie ein Dionysos, voll über­schäu­mender Gebelaune und in dithyrambischem Guß. Allen, die in der Musik nicht nur ein nach Formen abgezirkeltes Spiel der Töne sehen, die vielmehr die Töne als lebendige Werte von poetischer Kraft erkennen, alle, die sich nicht unterhalten, sondern die sich an Musik berauschen wollen, weil sie Freunde großer Gefühle und starker seelischer Erregungen sind: alle diese Menschen freuen sich des Zaubers Lisztscher Musik.

Der gestrige Abend stand ganz im Banne von Franz Liszt, denn sein Geist war wieder leibhaftig geworden, seine Seele gegenwärtig: Der Pianist Josef Pembaur war wie eine Verkörperung Liszt­schen Wesens. Bei seiner Leistung stand man wie vor einem Hoch­gebirge mit wolkenumzogenen Gipfeln, mit gewaltigen Abstürzen und steilragenden Wänden. Es war ein Stück Dämonie, was sich uns da in und durch Josef Pembaur hinreißend kundgab.

Drei Dinge sind es, die uns erfaßten, als er den „Totentanz“ spielte: die Kühnheit und Größe der Idee, die Meister Liszt mit diesen Variationen für Klavier und Orchester musikalisch erschaut und ergreift: zum andern die reichen und ihrer Ausdruckskraft nach überlegenen Mittel, die dem Genie eines Liszt zu Gebote stehen und derer er sich mit vollendeter Könnerschaft bedient: dann das überwältigende Temperament, die starke Geistigkeit und die alles beherrschende Virtuosität des reproduzierenden Künstlers.

Professor Josef Pembaur wird erfaßt, geschleudert von einem Temperament, dem der Zuhörer schier atembenommen zuhört. Dieser Künstler wird aber nicht bloß beherrscht, er herrscht auch selber: die lodernde Fackel seines Fühlens durchglüht sein Spiel. Da wird zunächst das Tempo mit solcher Sicherheit erfaßt, daß alles zu höch­ster Plastizität sich formen kann. Und in solchem genial hingestellten Tempo arbeitet eine Rhythmik gleich riesigen Schwungrädern einer Maschine, gleich dem feinen Rädchen eines Uhrwerks. Darüber hin breitet sich ein spezifisch musikalisches und dabei vom Duft poeti­schen Schauens umwalltes Fühlen. Und alles massiv in Fleisch und Bein und alles verflüchtigt in Idee und Geistigkeit.

In solche Werkstatt künstlerischen Schaffens zu schauen, ist überwältigend, weil Aktiv und Passiv, weil Geben und Wiedergeben, weil Schöpfer und Nachschöpfer einander so durchdringen, daß sie eins werden und man solcher Art ein Wunder vor sich hat. In d'Alberts bester Zeit hörte der Schreiber dieser Zeilen den Groß­meister Liszts „Totentanz“ spielen, doch blieb damals nicht der Eindruck dieses Aufglühens wie gesten bei Pembaur. Es verging bei diesem Glast und bei der Glut dieses prachtvoll gebändigten und doch fessellos dahinstürmenden Temperaments — — ein Rausch! Ein Rausch! O, willkommen endlich solches Glutempfinden eines Künstlers! — — es verging auch denen das Lachen, die wegen einiger Aeußerlichkeiten des Künstlers sich belustigt fühlten. Selbst denen aber, die auch im Konzertsaal „etwas sehen“ wollen und wäre es, wie Shakespeare sagt, „der Mann mit der Tartsche“, blieb der Dämon der Inspiration in Pembaurs Totenspiel nicht verborgen, und das Wunder dazu, wie man im Uebermaß des eigenen Schwunges doch das Gleichgewicht nicht verliert.

So bleibt Pembaurs Bild und Gedenken in Kiel: ein Mann des Ueberschwanges, ein romantischer Charakter, in weiche Dämmerung gehüllt, in glühende Feuer getauft, ein Mann der Kontraste, von und zu denen er Brücken schlägt, tausend und mehr — — —

Den Liszt-Abend eröffnete die symphonische Dichtung „Orpheus“ und ihn beschloß „eine“ Faust-Symphonie. Wagner schreibt „eine“ Faust-Ouvertüre. Es spricht sich in diesem Wort die Unendlichkeit, die Unerschöpflichkeit des Faust-Motivs aus, wie es den Meistern selber gleichsam ein Versuch dünkt, die tragische Sehn­suchts­welt eines Faust in Tönen zu umspannen. Meinte Goethe doch auch von seinem Gedicht, „kann fortesetzt werden“.

Herr Professor Stein und das „Städtische Orchester“ steuerten bei dem Totentanz durch Szylla und Charybdis mitten hindurch, aber es erschien am Schlusse alles geborgen. Es wäre mürrisch, wollte man bei Kleinigkeiten verweilen. So gelten dem Orchester und seinem Leiter mit Recht Beifall und Anerkennung, auch dafür wie sie die dirigierenden Zeichen Pembaurs verstanden.

In der Faust-Musik bewährte sich der Männerchor des Oratorienvereins und der Tenorist Herr v. d. Heydt. Das umfangreiche Werk wurde voll Hingebung gespielt. Professor Hans Sonderburg

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