Kieler Nachrichten, 24.05.1995
Mozart-Konzert in der Kieler Petruskirche
Mit „Pomp and Circumstance“
in die Sommerpause
Die Konzert-Saison geht langsam zur Neige. Da ließ es sich der Verein der Musikfreunde nicht nehmen, seine Reihe der Mozart-Konzerte sozusagen mit „Pomp and Circumstance“ in die Sommerpause zu entlassen: Gesangssolisten, Chor und Kammerorchester wurden am Montag in der Wiker Petruskirche aufgeboten, um diesem Abschlußkonzert eine würdige Klangfasson zu verleihen. Und tatsächlich bekam der Abend zu fortgeschrittener Zeit dann noch etwas Festliches im musikalischen Sinne. Aber dazu später.
Es begann allerdings ruhiger, bescheidener: mit Giovanni Battista Pergolesis Stabat mater in einer chorlosen Version. Dieser Verzicht auf den Chor kann einen Gewinn an Innerlichkeit, aber auch die Gefahr der Eintönigkeit nach sich ziehen. Am Montag gingen beide Möglichkeiten Hand in Hand. Gut und richtig war es natürlich, daß Dirigent Frank Meiswinkel die Tempi überwiegend zügig nahm und das Kammerorchester (zusammengesetzt aus Mitgliedern der Kieler Philharmoniker) einen zwar angemessen sanften, aber gut konturierten Grundton spielen ließ.
Schön und passend war es auch, daß die Solistinnen Amy Lawrence und Barbara Schroeder mit eher leicht und beweglich gehaltenen Stimmen sich auf eine schlichte, ganz unprätentiöse Gestaltung verständigten — die Sopranistin Lawrence eher zur Gleichförmigkeit neigend, die Altistin Schroeder mit leichten Akzenten und einer hübschen, dabei unmanierierten Portion Engagement. Dies alles waren Bauelemente einer modernen Interpretation, die statt künstlich nachempfundener Italienità eine grundehrliche Norddeutschità hätte bewirken können.
Aber die Probenzeit dürfte erfahrungsgemäß nicht allzu üppig ausgefallen sein; und so blieben die Ausführenden auf halber interpretatorischen Strecke stecken. Das heißt: Die südländische Leidenschaft im Leiden wurde dem Werk zwar überwiegend ausgetrieben; aber an seine Stelle mochte noch nicht so recht etwas Neues treten. Wenn es mal heftig wurde (wie im Fac ut ardeat cor meum), dann konnte die Musik zwar durchaus eine packende dramatische Gestaltung erfahren. Aber dazu gibt es hier ja nur selten Gelegenheit. Alles übrige klang eher lust- und spannungsarm musiziert, mehr notengetreu als ausdrucksvoll. Typisches Beispiel: Der vorletzte Satz, das Quando corpus morietur. Schön leise angegangen, schön ruhig ausgespielt — aber kein Geheimnis, kaum Atmosphäre, wenig Intensität.
Etwas anders sah die Sache schon bei Mozarts Rezitativ und Arie Ombra felice! — Io ti lascio aus. Da ließ sich das Orchester ein wenig von der nun weiter ausladenden musikalischen Gestik der Altistin Barbara Schroeder anstecken. Die wußte ihrer runden, aber flexibel geführten Stimme durchaus auch rauhe Facetten abzugewinnen, und sie hatte keine Übertreibung nötig, um die verschiedenen Stimmungslagen zu vermitteln. Und als es schließlich an Mozarts Vesperae solennes de Domenica ging, übernahm der Städtische Chor Kiel, von Frank Meiswinkel sorgfältig instruiert, das Regiment. Während das Orchester die Vesper-Komposition als solide Gebrauchsmusik gestaltete, interpretierte der verhältnismäßig riesige Chor Mozarts Musik konsequent als festliches Großkonzert: massig in der Klangfülle, aber trotzdem schwung- und liebevoll gesungen, mit guten Akzenten versehen, dynamisch recht ausgewogen und sicher in der Phrasierung. Aber vor allem (und ungeachtet so manchen kleinen Koordinationsproblems): lebendig und engagiert.
Zu den vorherigen Solistinnen kamen nun noch der einsatzfreudige, aber hier unterbeschäftigte Tenor Martin Fleitmann und — noch weniger gefordert — der Bassist Hans Georg Ahrens mit den gewohnten Qualitäten hinzu. T.K.