Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 22.01.1922

Viertes Symphoniekonzert.

Schwedische Musik.

Aus drei reich sprudelnden Quellen, unterstützt vom Zuflusse vieler Wässerlein, die zu Hauf kommen, erwächst der große, feierlich dahinziehende breite Strom der Musik. Italien bringt den bel canto, seine Coloratura und jene Art des Musizierens, die skrupellos zugreift, wenn nur reizvoller KLang vor das Ohr kommt. Frankreich bringt seinen Esprit, seinen Charme und seine Art, die Musik dekorativ zu behandeln und mit großer Geste zu versehen. Deutschland ist musi­kalisch ernst gestimmt. Seine Musik ringt faustisch um des Geistes Klarheit und der Seele Seligkeit. Nirgend wie im deutschen Lande ist eine klassische Kunst vorhanden, die Namen gleich Bach und Beet­ho­ven umschließt; nirgend in der Welt ist die blaue Blume der Romantik so erblüht wie auf deutschem Boden, denn Schumann und Wagner hegten sie. An solcher Kraft von Kopf und Herz hat die ganze Welt Anteil genommen und tut es bis zur Stunde hin.

Es ist ein Einfluß der deutschen Romantik, daß die nationalen Strömungen in der Musik auch bei anderen Völkern zur Geltung kamen. Die Skandinavier und die Slaven besaßen seit je ihre schaf­fenden und nachschaffenden Künstler, aber sie hatten sich noch nicht auf ihre Eigenart besonnen. Dann kam die Erkenntnis der Schätze im eigenen klingenden Volkstum. Man wurde sich der nationalen Stil­eigentümlichkeiten bewußt, man setzte sich zur Wehr gegen die schulmäßige Gewsetzmäßigkeit, gegen die Lehrsätze der Komposition und Tradition, die das nationale Musikschaffen einengten. Unter den Skandinaviern wurde Grieg der Bahnbrecher, der dem Gadeschen Mendelssohn vermischten weichlichen Skandinavismus sein starkes nationales Empfinden entgegenstellte. Nun begann auch in Schweden neues musikalisches Leben aufzukeimen und schnell am nationalen Funken zu erstarken. Volksweisen wurden der Aus­gangspunkt für kunstvolles Arbeiten, jene Eigentümlichkeiten in Rhytmik und Harmonik, die wir heute als spezifisch nordisch anzu­sprechen und gewöhnt haben, wurden die Elemente des neuen nationalen Kunststils auch für Schweden. Die poetischen Vorwürfe für sein Musizieren entnimmt der moderne schwedische Komponist dem Volksleben. Und wo ers packt, da ist es interessant! Nun weiß er von den hellen Nächten und dem Kerzenlicht der dunklen, nun wandert er durch alle Prächte und Schönheiten des Schwedenlandes und hört den Schlag des Schwedenherzens. In seine Programm-Musik kommen nationale Stoffe, und wenn er ein Poetenwort braucht für sein klin­gendes Schaffen, dann singt er von Lenz und Liebe und traumtiefem Walde, wie es der Schwede in seiner Seele fühlt. Sjögren nimmt seine Texte von Theodor Storm und Heine. Wilhelm Peterson-Berger, Adolf Lindblad sind schwedische Rhapsoden.

Und doch stehen sie alle, alle Komponisten, die wir an diesem „schwedischen Abend“ hörten, unter deutschem Einfluß. An Richard Wagner und an den Werten der deutschen neu-romantischen Musik kann niemand in der Welt vorüber. Es kommt nur darauf an zu zeigen, wieviel von der Gedankenwelt deutscher Musik im Abklatsch übernommen und wieviel aus künstlerischer Kraft wirklich erworben ist, um es in nationaler Umprägung als eingenen Besitz zeigen zu können. Das Konzert eröffnet Hugo Alfvén (geboren 1872, lebt als Universitätsmusikdirektor in Upsala) mit seiner zweiten Symphonie D-dur op. 11 für großes Orchester. Im ersten Satze „Moderato“ steht neben einem akkordisch aufstrebenden Haupt­thema ein diatonisch gehaltenes Gesangsthema, die beide zu einer weit ausholenden Durcharbeitung kommen und den Komponisten zu einem liebenswürdigen Musizieren reizen. Im folgenden „Andante“ mit seinem rezitatorischen Unisono der Baßinstrumente steigert sich die schwerblütige Nachdenklichkeit nach einigen schattenhaften, zucken­den Pizzikato-Klängen zu einem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch, bis alles im ruhvoll-schönen Dur-Schluß verklingt. Der dritte Satz stellt sich als ein Orchester-Capriccio dar, ist voll lustiger Einfälle, die keck und witzig daherkommen in charakteristischer Instrumentation. Der Schlußsatz erhebt sich zur Feierlichkeit. Präludium, ein vom Chor der Blechinstrumente gespielter, von Holzbläsern im weichen Tonfall unterbrochener Choral (geistreich wirkt das Eintreten der Oboe zum Blech) und eine Fuge erscheinen als Dankgesang nach freudigem Naturgenießen. Von diesem Opus 11 zu Opus 19 „Midsommarvaka“, das zum Schlusse des Konzerts gespielt wurde, hat Alfvén sich immer mehr mit der Farbenkühnheit des Wagnerorchesters vertraut gemacht. Von der traumschönen „Johannisnacht“ hat keiner so hold gesungen wie Richard Wagner. Alfvén gibt ein wesentlich äußerliches Bild von dem Johannisfest, das vom Volke mit Tanz und Trubel began­gen wird. Er beschert mit diesem Werk voll volkstümlicher Weisen ein flott aufgegriffenes Stück Musik.

Von Wilhelm Stenhammer (geboren 1871, lebt als Dirigent in Göteborg) erklang eine Tondichtung für Orchester und Chor (gesun­gen vom Oratorienverein) Opus 24, betitelt „Midvinter“. Aus alten Tanzweisen, erlauscht vom Spielmann Hins Anders, holt er sich sein motivisches Material und steht dadurch sogleich mitten in schwedi­scher Volksart. Er entwickelt eine interessante Musik, in der eine kunstvolle Orchesterbehandlung die Volksklänge mit inniger Freude umschließt. Nach einem Choral des Chores setzt ein wahres Schnee­treiben der Töne ein, das jäh abbricht mit einem strahlenden Akkord der Blechbläser, etwa wie es Berlioz in seinem „Römischen Carneval“ vorzeichnet.

Fräulein Maria Ekeblad von der Staatsoper in Berlin sang in schwedischer Sprache Lieder von Sjögren, Lindblad und Peterson-Berger, der als der eigentümlichste hervortrat besonders durch „Vainos Gesänge“ aus dem Musikdrama „Arlnjot“ und eine Ballade „Florez und Blancheflor“, vom farbenreich behan­delten Orchester begleitet. Die Künstlerin verfügt über einen Sopran, der, technisch gefeilt, weich und warm nach der hellen Höhe und breit fließend in der Tiefe, das Ohr erfreut. Die Lieder am Klavier wurden von Professor Stein feinnervig und klangschön begleitet. Nach Lindblads „Postillonlied“ dankte sie für den reichen Beifall mit zwei Zugaben: Sjögrens „Lehn deine Wang an meine Wang“, ein auch von deutschen Liedmeistern umworbener Text, und mit einem „Schwedi­schen Wiegenlied“.

Das Schwedische Konzert wurde vom Verein der Musikfreunde im Zusammenwirken mit der „Deutsch-schwedioschen Vereinigung Schleswig-Holstein“ veranstaltet und wird zur Belebung und Vertie­fung der kulturellen Beziehungen in Deutschland und Schweden sicher beitragen. Schwedens Musik wurde von der Zuhörerschaft mit Herzlichkeit aufgenommen. Das Städtische Orchester musi­zierte hingebend und empfing eine besondere Ehrung durch Über­reichung eines Lorbeerkranzes. Herr Professor Stein leitete das gelungene Konzert und durfte wohlverdienten Beifall auch für seine Person entgegennehmen. Denn mit seiner Einfühlung in die Klangwelt der schwedischen Musik führte er den Taktstock, ein getreuer Anwalt stammesverwandter Kunst.

Die deutsche Beethovenseele ist leidvoller und in der Freude hymnischer, sie zeigt ein stärkeres Ethos als Schwedens Klang, aber in der Wahrheit des Empfindens und in der Ehrlichkeit des künstleri­schen Ausdrucks begegnen sich die klingenden Herzen Deutschlands und Schwedens. Mögen die wirtschaftlichen Fragen durch Spekulation und Betriebsamkeit gelöst werden können, das Menschgefühl von Volk zu Volk findet in der Kunst seinen stärksten Verkünder, insonder­heit durch die huldreichste aller Künste, die Musik. Professor Hans Sonderburg

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